Für die meisten Frauen gilt: Mehr Home, weniger Office

Heute Morgen am Frühstückstisch fiel – ich weiß nicht mehr in welchem Zusammenhang – auf einmal der Satz: „Ich soll dir ausrichten, du sollst aufhören zu jammern. Du wolltest doch das Kind.

Ich war kurz sprachlos, dann bin ich kurz innerlich explodiert, dann hätte ich gern geheult, danach habe ich kurz überlegt, wo ich eigentlich genau gejammert habe und seither beschäftigt mich dieser Satz und ich möchte in so vielen Richtungen Antworten, widersprechen. Dann wieder: Bringt ja nichts.

Auch, weil ich der – übrigens kinderlosen, weiterhin arbeitsfähigen – Person, die mir das hat ausrichten lassen, gar nichts persönlich antworten kann – weil ich natürlich auch nicht genau weiß, wie sehr das aus dem Kontext gerissen ist. Oder ob es eigentlich um was ganz anderes ging und naja, es ist, was du draus machst, sowohl beim ausrichten, als auch beim aufnehmen.

Aber es ärgert mich eben. So sehr, dass ich mich doch dazu äussern will. Dafür hab ich ja ein Blog. Weil es wohl vielen Frauen gerade so geht. Klarstellen möchte ich schlicht als erstes: Ich jammere nicht. Ich bin ganz fine damit, dass die Kids hier rumspringen. Auch das Homeschooling läuft für uns wohl problemloser als in anderen Familien. Wir haben hier Geschwister, ganz nach dem Motto: Zusammen ist man weniger allein.

Aber ein paar Dinge hätten durchaus trotzdem gern anders laufen können. Familien werden aktuell leider größtenteils übergangen. Das ist womöglich bei Zweielternfamilien weniger schlimm als für Alleinerziehende (und vielleicht auch nicht!), aber ey: es geht hier nicht ums Aufrechnen, sondern um die Selbstverständlichkeit der Politik, dass die verfickte Bundesliga eine höhere Priorität zu haben scheint, als Eltern, für die es halt auch „eine harte Zeit ist“ – und natürlich für alle anderen auch.

Ich bin selbständig und mein Business löst sich gerade in Luft auf. Weil ich für die verbliebenen Kunden nicht viel machen kann, weil Homeoffice mit Kleinkind nicht funktioniert und den anderen Kunden dabei zusehe, wie sie selbst kämpfen müssen, um zu überleben. Oder weil sie schlicht canceln oder ausbleiben oder mir Ware statt Kohle anbieten, damit komme ich aber auch nicht weit.

Hallo Krise. Hallo Neuaufstellung – keine Zeit für sowas

Schon zum Start der Krise war mir folgendes klar: Frauen sind nicht wirklich weit gekommen. Wir hatten uns hier bisher eigentlich ganz gut eingerichtet, was ich als für mich passende Gleichberechtigung bezeichnen würde. Die hört halt spätestens dann auf, wenn die betreuungspflichtigen Kinder von gestern auf heute den ganzen Tag zuhause sind und da auf einmal das meiste an einer Person hängen bleiben muss, weil wir es uns nicht anders leisten können… Frau kümmert sich so gut es geht, der Mann kocht halt weiterhin und bringt manchmal das Kind abends ins Bett. Fertig sind wir beide, der eine vom Kind, der andere vom Homeoffice.

Der Mann verdient mehr, ich hatte es hier erwähnt: Wer mehr verdient, schafft an. Es hat kurz gedauert, bis ich mich damit abgefunden habe, dann dachte ich: eigentlich genieße ich das reine Mama-Sein auch ein bißchen, weil: jeden Tag ein neuer Skill bei der Rakete. Mega. Und die Zeit kommt ja nicht wieder. Ihr wisst schon. Aber auch mega anstrengend – und sorry ey, Kinder sind toll. Aber Pausen auch. Und wer nicht mal mehr alleine KACKEN gehen kann, der weiß vielleicht, was ich meine.

Es ist also schlicht so: Für viele Frauen bedeutet Homeoffice jede Menge Heim, aber wenig Arbeit, es sei denn, sie arbeiten wenn die Kinder schlafen. Anfangs dachte ich noch: super, diese Krise ist jetzt auch die Möglichkeit sich erfolgreich neu aufzustellen. Eine neue, andere Richtung. bzw. vielleicht überhaupt eine Karriere aufzubauen. Aber: die Tage rennen an mir vorbei und Abends bin ich zu müde für eine neue Karriere. Ich prokrastiniere dann auch mal, weil der Stapel an ToDos so groß und unübersichtlich geworden ist, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll.

Wir sind Zurück in der Männerwelt

Das hat Julia Jäkel sehr passend in ihrem Beitrag Plötzlich, in der Krise, sind alle Frauen weg so formuliert: Jetzt werden Karrieren gemacht. „Und diesen Moment verpassen viele Frauen, weil sie – aus welchen Gründen auch immer – zurückstecken.

Julia Jäkel schafft es in diesem Beitrag, mit so vielen Sätzen, treffend zu formulieren, wie es mir gar nicht möglich wäre, weil mir vermutlich tausend Jahre Erfahrung, Teamführung und Coachings fehlen: Man möchte so viel sagen, etwas schreiben, aber ICH TRAUE MICH NICHT (und das von jemandem wie Julia Jäkel!!!!).

Es ist ja auch so: sowieso geht es immer jemandem schlechter als mir und du wolltest es doch so. Und raus bist du. Hör auf zu jammern.

„Homeoffice bedeutet für Tausende Frauen gerade vor allem home und wenig office. Das ist auch deshalb bitter, weil jetzt Karrieren gemacht werden. Wer mit der Krise gut umgeht, wer dem Druck standhält, wer die richtigen Prioritäten setzt, wer seine Leute mitnimmt und seine Teams lebendig hält, der kann gerade ganz besonders auf sich aufmerksam machen. Und diesen Moment verpassen viele Frauen, weil sie – aus welchen Gründen auch immer – zurückstecken.“

Julia Jäkel in der Zeit

Natürlich ist Julia Jäkel nicht die Erste, die ein paar Zeilen zum aktuellen Daseinszustand von uns Frauen geschrieben hat. Lesenswert ist auch der Beitrag „Die Krise der Männer“ von Jana Hensel, ebenfalls in der Zeit. Sie beschreibt, dass man – mit wenigen Ausnahmen – meinen könnte, unser Land bestünde ausschließlich aus Männern.

Das ist natürlich nicht nur zu Corona-Zeiten so, es tritt nur gerade wieder sehr viel deutlicher hervor. In all ihren hässlichen Fratzen, z.B. gab es nur in Berlin 332 Notrufe wegen häuslicher Gewalt in der Woche vor Ostern. Nur um es nochmal deutlicher zu sagen: 141 Frauen starben 2018 in Deutschland durch Tötungsdelikte. Das sind drei Frauen pro Woche. Das ist jeden zweiten Tag eine. Verletzt wird jede Stunde eine Frau von ihrem Partner.

Auch auffällig ist folgendes Szenario: Herausgeberinnen wissenschaftlicher Zeitschriften vermelden, dass Einreichungen von Männern in den vergangenen Wochen um 50 Prozent gestiegen sind, während Wissenschaftlerinnen quasi überhaupt keine Texte mehr vorlegen. Das erklärt sich wohl auch dadurch, dass letztere zu Hause mit den Kindern beschäftigt sind – egal in welchem Fach sie sich habilitiert haben. Männer denken hingegen offensichtlich eher, sie müssten anderen die Welt erklären. 

Und: Kinder bleiben in neun von zehn Fällen nach der Trennung der Eltern bei der Mutter, auch darum haben viele Frauen als Alleinerziehende in diesen Tagen keine Sekunde mehr für sich. Wenn sie nun ihren Job neben der Kinderbetreuung nicht mehr erledigen können, wenn sie arbeitslos werden, bestätigen sie nur weiter die Statistik: Von Armut waren sie auch vor der Coronakrise schon stärker bedroht. Im Jahr 2015 bekamen Frauen eine um 53 Prozent niedrigere Rente als Männer. 

Ich mein ALTER, DREIUNDFÜNFZIG PROZENT.

Und das Ende vom Lied – die Hausfrau wird niemandem gerecht

Mein Mann ist ein besonderes Exemplar, selbst wenn er müde und Augenringe bis zum Boden hat, versucht er noch, mir etwas abzunehmen. Aber selbst wenn er etwas anders machen könnte, könnte er uns aus der Misere, in der wir stecken, gar nicht rausholen. Er MUSS ja arbeiten (und kochen), weil wir die klassische Familie sind, in der der Mann mehr verdient.

Abends sitzt er inzwischen meistens alleine vor der Glotze, weil seine Alte am Rechner hockt und versucht, ein paar Brände zu löschen. Oder Dinge vor sich her zu schieben…

Meine große Tochter, die in der 7. Klasse steckt und damit quasi schon alt genug ist, sich um sich selbst zu kümmern, fällt bei ihrer Mutter (also mir) größtenteils komplett unter den Tisch. Fragen? Gehen an den großen Bruder oder den Mann (oder den Vater), weil ich einfach kaum den Kopf dazu habe. Und in den meisten Fächern kann ich ihr sowieso nicht mehr helfen. Glücklicherweise ist sie aber ganz gut in der Schule und meldet keine Probleme im Homeoffice. Bei allem anderen: Ich muss ihr vorkommen wie eine Hexe… Warum kannst du das nicht alleine. Das hab ich dir doch schon 38439849 mal gezeigt/erklärt/gesagt oder auch „gleich“ „nachher“ „jetzt nicht“ gehören zum Portfolio. Mein Nervenkostüm ist bei ihr unfairerweise ganz besonders dünn.

Die kleine Tochter? Die muss auch hart einstecken. Sie erlebt meine Ungeduld, meine Genervtheit, wenn es mal wieder nicht schnell oder richtig genug geht. Das abendliche Bettgehritual wurde in den letzten Tagen zur Zerreissprobe: sie will nicht schlafen. Ich will raus. Diese Kombi läuft nicht besonders gut. Das Wissen, dass sie nichts dafür kann und eigentlich immer ein Sonnenschein ist, das hilft gerade nicht. Und so dauert das Bettgehritual wieder viel länger als noch vor einigen Wochen.

Männer sind besser darin, ihren Bedürfnissen zu folgen

Mir ist meine „Anti Aggressionsgruppe“ wieder eingefallen. Die habe ich 2009 besucht, als ich mit meiner damals drei Jahre alten Tochter auf Mutterkind-Kur war. In der Gruppe ging es häufig um das gleiche Thema: Mein Mann macht nix im Haushalt. Mein Mann sieht nix im Haushalt. Mein Mann ist faul. Mein Mann ist blind, blöd und die Kinder sowieso. Damals hat mich dieses Verhalten, dieses, den Männern nichts zutrauen, sehr genervt. Heute habe ich verstanden, dass wohl einfach der Großteil an Männern einfach so ist. Einmal dumm angestellt, reicht für’s ganze Leben. Die Frau macht das dann eben (oder macht es, weil sie glaubt, sie macht es besser).

Zu dieser Gruppe gehört mein Mann glücklicherweise übrigens nicht und für seinen Job versuche ich ihm den Rücken freizuhalten – habe ich gerade ja nicht die mega Auftragslage und auch keine wissenschaftlichen Abhandlungen zu schreiben.

Ich verzupfe mich mit dem Kind aus der Wohnung, morgens und nachmittags, damit er seine 8439909 Telefonkonferenzen führen kann, ohne das ständig jemand HAAAAAALLLLOOO in den Hörer ruft oder mitschwafelt. Und ich mache das gern. Auch wenn ich weiß, dass ich mich selbst gerade immer mehr in Richtung Abstellgleis bewege. Ich mein, ich bin 40. Ich hab das Blog, aber keine Zeit (und Lust) mich mit Insta so zu beschäftigen, wie man es müsste um vielleicht erfolgreicher zu sein. Ich hab ein Blog, fotografiere ein bißchen, programmiere ein bißchen, mach ein bisschen Grafik da, ein bisschen Marketing hier und PR dort – aber wenn wir mal ehrlich sind… Ich habe nichts erreicht und bis ich wieder Vollgas geben könnte, vergehen im Zweifel noch ein paar Jahre und schon rutscht man entweder in die Teilzeitfalle oder ist halt schon zu alt für coole Jobs.

Und das Ende vom Lied?

Ich weiß nicht, was ich mache, wenn es regnet, das ging mir letzte Woche durch den Kopf, als Männeroffice zu Hause wieder anstand. Ich habe festgestellt: ich geh halt trotzdem raus. Macht nicht weniger Spaß.

Zuhause läuft es irgendwie. Mal besser, mal schlechter. Aber so, dass ich immer noch genau weiß, warum ich diesen Mann geheiratet habe. Wir diskutieren viel, denn wir haben in manchen Dingen verschiedene Prioritäten – aber manchmal ergänzen wir uns auch sehr, sehr gut.

Und: Musik. Aromatherapie. Sport. Und Lächeln, nein LACHEN, mindestens einmal pro Tag. Ich wollte also nur sagen: ich jammere nicht!

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