Von Bewegungsmangel bei Kindern und der „Früher war alles besser“ These

Ich war in meiner Kindergartenzeit ein hervorragender Stubenhocker. Was habe ich es geliebt, mich stundenlang bei meinem Kindergartenfreund einzugraben und seine irrsinnig große Playmobilsammlung zu bespielen. Und was wollte er: Immer rausgehen. Da scheint die Sonne und er wollte an die frische Luft. Öhhhhh!

Ich hatte als Kind eigentlich den perfekten Ort zum aufwachsen – zusätzlich muss ich noch erwähnen, dass es eigentlich genau genommen nur ein bis zwei Jahre meiner KleinKindheit gibt, die bewusst hängen geblieben sind. Ich habe bei meiner Oma gewohnt, da war ich irgendwas zwischen fünf und sieben Jahre alt. In Oberasbach. Das ist quasi neben Nürnberg und unser Haus war das letzte vor dem „Hainberg“. Das war eine riesengroße Grünfläche mit Wald, Spazierwegen, Freiflächen, Bächen – also ohne Scheiß: Kinderparadies (eigentlich war es der Truppenübungsplatz der Amis, aber nur wenn dir rote Fahne wehte durften wir nicht rauf). Direkt daneben: Mein Kindergarten und der „Bolzplatz“. Der hieß so, weil die Fußballfläche so groß war wie ein original Fußballfeld und dazu gab es noch eine riesen Burg zum Klettern. Da war noch mehr, aber daran kann ich mich nicht erinnern.

 

Meine beste Freundin im Kindergarten war schon damals Tiernärrin (und besitzt heute ein eigenes Gut mit einer Pferdepension – eigentlich nicht anders zu erwarten ;)) und mein bester Kumpel war eben der mit der großen Playmobilsammlung. Wir drei hingen eigentlich immer zusammen – bis ich zur Einschulung gleich die ganze Stadt wechseln musste.

Habe ich schon erwähnt, dass ich ein Stubenhocker bin? Rausgegangen bin ich nur, weil meine Oma mit mir täglich Gassi gegangen ist. Zum einkaufen und auf dem Rückweg zum Bolzplatz. Oder umgekehrt. Davor war ich schon bis Mittag im Kindergarten. Das war das Größte: Ich bin nur Mittagskind und hatte den ganzen Nachmittag frei und konnte tun und lassen was ich wollte. Playmobil spielen zum Beispiel. Aber mensch, er wollte ja immer raus. Auf den Hainberg. Dämme bauen. Auf Bäume klettern. Pöh. Na gut!

Beleidigter Stubenhocker mit Katze.

Im Nachhinein bin ich davon überzeugt, das meine Kindheit besonders in Oberasbach der Hammer war. Ich konnte tun und lassen, was ich wollte, wir hatten halt zu Hause zu sein wenn es dunkel wird. Wenn wir nicht Playmobil spielen oder Meerschweinchen streicheln waren, dann wusste niemand wo wir sind. Und manchmal waren wir auch in der Tiefgarage und haben uns vor Autos versteckt. Wie James Bond. Oder so. Aber: Wir waren drin. Und draussen. Gleichermaßen. Und wenn ich das Verhältnis mit der Bewegung meiner Tochter vergleiche: Sie bewegt sich nicht weniger als ich – sie hat nur weniger Freiheiten als wir, wobei sich das auch angepasst hat, seit wir am Stadtrand wohnen.

Früher war alles besser

Klar, wenn ich es jetzt so verklärt sehen würde, wie wir Erwachsenen das gern tun, dann beginne ich mit den Worten: Ach, früher war alles besser. Und Wir waren ja viel mehr draussen. Und die heutigen Kinder hocken alle nur noch vor dem Telefon/Tablet/Computer.
Fakt ist: Sie tun es wirklich. Kids bewegen sich heute weniger und das wo der Fitnesstrend überall gepredigt wird (und ich jogge ja auch sehr gern). Aber eben nicht alle.

Es gibt inzwischen verschiedenste Studien, die letzten Ende immer ein ähnliches Ergebnis mit sich bringen und uns das natürlich auch erzählen: Motorische Defizite und Übergewicht zum Beispiel.

Die wohl gängigste Studie ist Momo (Motorik-Modul), ein Teilmodul der Kiggs-Studie, die die Gesundheit von Kindern in Wellen untersucht. Dort absolvieren Kinder in verschiedenen Zeiträumen (2003-2006, 2009-2012 und 2014-2017) unterschiedliche Übungen, wie z.B. rückwärts balancieren, auf einem Bein springen, Standweitsprung, Liegestütze und so weiter. Aber auch hier tut sich eine Verbesserung auf, zumindest zum Teil. Denn so gesehen bewegen sich Kinder wieder ein bisschen mehr, allerdings bewegen sich die, die sich sowieso schon nicht bewegen eben auch weiterhin nicht.

Aber und das ist hier genauer nachzulesen: 78% der Jungen und Mädchen zwischen 3 und 17 Jahre sind in ihrer Freizeit sportlich aktiv, 77% der 3-10jährigen sind mehr als fünfmal die Woche beim Spielen an der frischen Luft. Bei Kindern zwischen 6 und 10 Jahren sind noch 66% in einem Verein. Bei den Mädels etwas weniger als bei den Jungs und auch der soziale Status spielt eine Rolle – in der Pubertät wird die Schere dann etwas größer (ob es wohl mit der Angst vor dem Scheitern zu tun hat?). Und grundsätzlich denken auch immerhin 89% der 11-17 jährigen, dass das eigene Befinden ganz gut ist.

Früher war nicht alles besser

So schlimm ist es also nicht, wenn man sich den oberen Absatz noch einmal ansieht. Ja, wir bewegen uns heute weniger. Also wir alle. Nicht nur unsere Kinder. Denn wenn wir Erwachsenen uns eben weniger bewegen (oder ohne Kids Sport im Fitnessstudio oder im Wald treiben), dann tun unsere Kinder es auch. Am Wochenende keinen Bock rauszugehen, weil die Woche so anstrengend war? Dann werden die Kinder es auch selten tun. Die einen, weil sie auch keine Lust haben und die anderen, weil sie alleine nicht rausgehen dürfen, sie könnten ja überfahren werden oder beim Bäume anschauen tot umfallen. Und wie viele der Eltern, die eine anstrengende Woche hatten, setzen sich am Wochenende hin und spielen dann eben drin mit ihren Kindern irgendwas.

Keine Angst vor Bäumen | Photo by Annie Spratt on Unsplash

Auch unsere Familie sehe ich oft genug auf dem Sofa sitzen und alle haben irgendein technisches Gerät in der Hand. Aber manchmal wechseln wir das technische Gerät auch gegen einen Fahrradlenker. Manchmal auch „nur“ gegen ein Gesellschaftsspiel, da haben wir drei Stunden Risiko gespielt. Aber wir versuchen, ab und an Zeit gemeinsam zu verbringen – je nach Verfassung und Wetter eben drin oder draussen.

Aber nichts für ungut. Bevor wir also heute den ganzen Tag mit den Mobiltelefonen daddelten, gab’s die Glotze und dann kamen die PCs in die Häuser und der GAMEEEE BOOOOOYYYY – alles sehr böse, wissen wir ja – was habe ich damit verbracht, STUNDENLANG Prince of Persia zu spielen. Oder Super Mario auf dem Game Boy! Und später, Larry (psssst, heimlich natürlich!) Und meine Mutter: Tetris. Klaro! Dazu haben wir gar keine Mobiltelefone gebraucht. Denn stubenhocken konnten wir früher auch schon – mit 18 war ich Quake-Profi (hatte aber trotzdem nie die Lust jemanden zu erschießen) und habe an der TU München eine Ausbildung zum Fachinformatiker absolviert. Stubenhocker im Quadrat!

Und worauf willst du jetzt hinaus?

Mich langweilt die These „Früher war alles besser“.
Das geht los bei, wir waren viel mehr draussen, wir haben nix gebraucht (alternativ: WIR HATTEN JA NIX!), früher war weniger Überfall/Gewalt/Kindesentführung und was weiß ich. Aber bleiben wir bei Bewegung. Wenn wir wollen, dass unsere Kinder sich bewegen, dann müssen wir Eltern uns auch bewegen. Sie mitnehmen, sie anspornen und dabei sein. Quasi eine Familie sein. Dinge gemeinsam tun. Wir können doch nicht Sprüche wie „immer wenn ein Kind vor einem Smartphone sitzt, stirbt auf einem Baum ein Abenteuer“ teilen und dann nicht selbst rausgehen? Oder sehe ich da was verkehrt?

Wenn Mutti gerne joggt, kann der Teenager ja mit, wenn er mag und die Kleine fährt mit dem Rad oder Skates hinterher (meine würden das ja mögen, aber leider nicht am Wochenende um 8 Uhr morgens ;)).
Schwimmen macht allen Spaß (ist im Schwimmbad nur leider eine teure Angelegenheit…) aber selbst der Spaziergang draussen um die Ecke im Wald (also z.B. von Berlin Ostkreuz in 15 Minuten in die Wuhlheide oder in 20/25 Minuten zum Müggelsee) wird ja wohl mal drin sein. Und ey: Der Herbst ist bunt. Also: Hopp, alle hoch vom Sofa. (Und da hätte ich ja gleich noch einen blöden Spruch für euch. Er hätte was mit der richtigen Kleidung und dem Wetter zu tun…gähn!)
Aber Bewegung macht gute Laune und entspannte Kinder und Eltern.

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